Weiteres Gericht untersagt Werbung mit „klimaneutral“- Aussagen
Werner & Mertz-Inhaber: „Wir werden nicht nachlassen, dieser fragwürdigen Praxis auf den Grund zu gehen. Das Vertrauen der Verbraucher*innen darf nicht verspielt werden.“
Eine weitere Schlappe für ClimatePartner, der nächste Sieg für Werner & Mertz im Kampf gegen Greenwashing: Auf Antrag des Mainzer Familienunternehmens hat das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 30. Dezember 2022 (Az. 53 O 169/22) die Bewerbung des Hygreen Essigreinigers als vermeintlich „klimaneutral“ untersagt. Der Essigreiniger wurde sowohl auf der Produktverpackung als auch auf der Unternehmenswebseite prominent mit der Aussage „klimaneutraler Essigreiniger“ sowie dem Logo von ClimatePartner „Klimaneutral Produkt“ beworben. Das Landgericht Stuttgart hat diese Werbung als irreführend und wettbewerbswidrig eingestuft.
Hygreen musste vor Gericht einräumen, dass sie nicht alle von ihrem Essigreiniger verursachten Emissionen entlang des gesamten Produktlebenszyklus erfasst haben. Insbesondere die Emissionen der Entsorgungsphase haben sie ausgeklammert. Dementsprechend konnten nicht alle verursachten CO2-Emissionen ausgeglichen worden sein, weswegen die Aussage „klimaneutraler Essigreiniger“ offensichtlich falsch ist.
Echter Durchbruch: Emissionen müssen auf ein unvermeidbares Maß reduziert werden
Das Landgericht Stuttgart hat auch einer weiteren weitverbreiteten Praxis einen Riegel vorgeschoben. Es hat festgehalten, dass die einschränkungslose Werbung mit Klimaneutralität unzulässig ist, wenn die vermeintliche Neutralität ausschließlich durch den Kauf von CO2-Zertifikaten erreicht wird. Es bedarf vielmehr „eigene Anstrengungen des werbenden Unternehmens im Wege einer Verbesserung der Einkaufs-, Produktions- und/oder Transportprozesse“. Solche Reduzierungsmaßnahmen konnte das Gericht bei Hygreen nicht erkennen.
Wenn ein Unternehmen ohne nähere Erläuterung mit der Angabe „klimaneutral“ werben möchte, reicht es nicht, irgendwelche pro forma Reduktionsmaßnahmen vorzunehmen, stellte das Gericht darüber hinaus klar. Eine einschränkungslose Werbung mit der Angabe „klimaneutral Produkt“ ist nur möglich, wenn das werbende Unternehmen den CO2-Fußabdruck des Produktes tatsächlich auf ein unvermeidbares Maß reduziert hat. Auch dies konnte Hygreen nicht darlegen. Das insoweit bei Hygreen noch viel Einsparpotential besteht, belegt bereits der Umstand, dass die Hygreen-Flaschenkörper lediglich zu 30% aus recyceltem Kunststoff bestehen – während PET-Flaschen von Werner & Mertz bereits seit 2014 zu 100 % aus Post-Consumer-Recyclat bestehen, dabei mittlerweile zu 50 % aus haushaltsnahen Sammlungen wie dem Gelben Sack.
„Wer nur CO2-Zertifikate von häufig fragwürdigen Klimaschutzprojekten kauft, ohne seinen eigenen CO2-Fußabdruck maßgeblich zu reduzieren, betreibt nach unserer Auffassung Greenwashing. Dies ist nichts anderes als ein moderner Ablasshandel. Das Gerichtsurteil bestätigt das“, so Werner & Mertz-Inhaber Reinhard Schneider.
Werbeversprechen setzen auch Aufklärung zu Details auf dem Produkt voraus
Von besonderer Bedeutung ist schließlich die Feststellung des Gerichts, dass einschränkende Erläuterungen grundsätzlich „auf dem für die Werbung benutzten Kommunikationsmittel selbst anzubringen“ sind. Der Verweis von Hygreen auf weiterführende Informationen auf der Website des Unternehmens genügt dem Gericht daher nicht, wenn man auf der Verpackung des Reinigungsmittels mit der Angabe „Klimaneutral Produkt“ wirbt.
„Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass die aus werblicher Sicht unschönen Wahrheiten zu ausgeklammerten Emissionen und nicht erfolgten Reduktionsmaßnahmen nicht mehr verheimlicht oder auf einer Website versteckt werden können“, so Schneider.
Ob Hygreen angesichts der klaren und eindeutigen Worte des Landgerichts Stuttgart Berufung gegen das Urteil einlegen wird, bleibt abzuwarten.
Bereits drittes „klimaneutral“-Urteil bestätigt Haltung von Werner & Mertz
Werner & Mertz sowie das Tochterunternehmen tana-Chemie, das sich mit seinen Produkten an professionelle Anwender*innen richtet, sind in den vergangenen Monaten bereits mehrfach gegen Wettbewerber vorgegangen, die ihre Unternehmen beziehungsweise Produkte als vermeintlich „klimaneutral “ beworben haben. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 2022 untersagte einem deutschen Anbieter von Reinigungsmitteln für professionelle Anwender die Werbung mit den Angaben „klimaneutrale Hygiene“ und „klimaneutrales Unternehmen“. Der Wettbewerber hatte auf seiner Internetseite sowie in einem YouTube-Video entsprechend geworben. Das Gericht stellte fest, dass die Werbung mit der Angabe „klimaneutral“ nur bei umfangreicher Erläuterung der Hintergründe der vermeintlichen Kompensation zulässig ist, weil nur dann der Abnehmerkreis einschätzen kann, „ob es einem Unternehmen tatsächlich auf die eigene Reduktion des CO2-Ausstoßes ankommt oder es lediglich ‚Greenwashing‘ betreibt“. Das Landgericht Frankfurt am Main forderte unter anderem Angaben zu ausgeklammerten Emissionen, dem Umfang der CO2-Reduzierungsmaßnahmen, der Art der Kompensation und den unterstützten Klimaschutzprojekten. Das Urteil ist rechtskräftig.
Einem anderen deutschen Anbieter aus dem Bereich der ökologischen Reinigungsmittel, der vornehmlich in Biomärkten vertreten ist, wurde im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens untersagt, mit dem ClimatePartner-Logo „Klimaneutral Unternehmen“ zu werben. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main führt in seinem Urteil vom 10. November 2022 aus, dass ein Verbraucher bei einem solchen Logo davon ausgeht, dass „alle wesentlichen Emissionen des „Unternehmens“, auch jene der Produktion, einschließlich der verarbeiteten Rohstoffe und Halbfertigprodukte kompensiert werden“. Der Wettbewerber musste in dem Verfahren jedoch einräumen, dass nicht alle Emissionen des sogenannten Scope 3 in die Bilanzierung und Kompensation einbezogen wurden, obwohl gerade dort häufig die meisten Emissionen verursacht werden. Scope 3 umfasst insbesondere sämtliche Rohstoffe für die Produkte und deren Verpackungen sowie die gesamte Eingangs- und Ausgangslogistik. ClimatePartner setzt für die Vergabe des Siegels „klimaneutral Unternehmen“ nicht voraus, dass alle vom Unternehmen verursachten Emissionen – erst recht nicht die wesentlichen – bei der Bilanzierung des CO2-Ausstoßes erfasst und ausgeglichen werden. Nach den sogenannten „Qualitätsrichtlinien“ von ClimatePartner können die meisten Emissionen des Scope 3 ausgeklammert werden.
„Für uns ist das ein klarer Fall eines Etikettenschwindels, da diese sehr wesentlichen Emissionsquellen einen ganz erheblichen Anteil des tatsächlichen CO2-Fußabdrucks ausmachen“, macht Schneider klar.
Da der Wettbewerber die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main trotz Fristsetzung nicht als endgültige Regelung anerkannt hat, wird Werner & Mertz Hauptsacheklage erheben.
Von Wettbewerbszentrale bis Satire-Sendung – unabhängige Dritte teilen die Kritik an „klimaneutral“-Versprechen
Auch außerhalb der WPR-Branche ist die Problematik in Bezug auf Klimaneutralität und CO2-Kompensation bereits angekommen: So gehen beispielsweise die Wettbewerbszentrale und die Deutsche Umwelthilfe seit einiger Zeit ebenfalls gerichtlich gegen vermeintliche „klimaneutral“-Werbeaussagen vor. Und sogar die NDR-Satiresendung extra3 hat in der Ausgabe vom 1. Dezember 2022 in einem bissigen Spot die gängigen Baumpflanzaktionen zur CO2-Kompensation als Greenwashing entlarvt ( » extra 3: Dr. Greenies Baumpflanzland | ARD Mediathek ).
„Solange die Politik solche irreführenden Claims nicht grundsätzlich verbietet – die Green-Claims-Richtlinie wurde von der EU-Kommission ja leider auf im besten Fall Ende 2023 verschoben – werden wir weiterhin selbst juristisch gegen solche Greenwashing-Labels vorgehen. Wir werden nicht nachlassen, dieser Sache auf den Grund zu gehen und die richtigen Fragen zu stellen“, so Schneider.