Mit mutigen Entscheidungen heute positive Wechselwirkungen für morgen auslösen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Bürger aufgefordert, „mit mutigen Entscheidungen heute“ im Umwelt- und Klimaschutz „positive Wechselwirkungen für morgen“ auszulösen. „Die Zukunft ist eben nicht vorbestimmt. Es liegt an uns, was wir daraus machen“, sagte er bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in Mannheim: „Die Plastikflasche, die heute recycelt oder gar nicht erst hergestellt wird, landet morgen nicht in den Weltmeeren. Sie kommt übermorgen wieder in den Rohstoffkreislauf. Der Boden, der heute vor der Erosion geschützt wird, bindet Kohlenstoff. Und er kann damit auch morgen noch als Ackerland Menschen ernähren.“ Steinmeier überreichte der Bodenwissenschaftlerin Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner von der Technischen Universität München und dem Unternehmer Reinhard Schneider (Firma Werner & Mertz, Mainz) den mit insgesamt 500.000 Euro höchstdotierten, unabhängigen Umweltpreis Europas.
Ökologische Transformation als Chance für Deutschland begreifen
Vor rund 1.200 Festgästen sagte Steinmeier, die Preisträger machten Mut, weil sie Lösungen aufzeigen und die ökologische Transformation als Chance für Deutschland begreifen würden. Als Tüftler und Ingenieurinnen, als Wissenschaftlerinnen oder Unternehmer würden sie neue Wege gehen. Preisträgerin Kögel-Knabner sei ein Vorbild für zukünftige Forschergenerationen. Sie füge das Puzzleteil der Bodennutzung in ein viel größeres Bild – das globale Klima und dessen „wahrhaftig alarmierenden Wandel“. Denn nicht nur Fabriken und Kraftwerke seien Verursacher des Klimawandels, sondern auch der Umgang mit den Böden als große Kohlenstoffsenken des Planeten. Je nachdem, wie der Mensch sie nutze, befeuere oder bremse er den Klimawandel. Monatelange Dürren, sintflutartige Überschwemmungen, zerstörerische Stürme seien in den Ländern des globalen Südens zu beobachten. Auch in Europa nähmen Hitzesommer zu. Die Bodenkunde könne Menschen dabei helfen, ihren Ackerbau diesen Extremen anzupassen, weshalb die Forschung der Umweltpreisträgerin so wichtig sei.
Produkte und Produktion „voll auf Nachhaltigkeit getrimmt“
Preisträger Schneider habe, so der Bundespräsident , als verantwortungsvoller Unternehmer gehandelt, bevor viele andere erst tätig geworden seien. Er habe in wahrer Pionierleistung gezeigt, dass umweltbewusstes und unternehmerisches Handeln kein Widerspruch seien und das zu seinem Erfolgsrezept gemacht. Produkte und Produktion habe er „voll auf Nachhaltigkeit getrimmt“. Das bedeute unter anderem eine hohe Abbaurate der Tenside und Verpackungen aus recyceltem Plastik. Wenn mehr Leute im Supermarktregal genauer hinschauen würden, steige der Druck auf die Hersteller, umweltfreundlicher zu wirtschaften. Das entlasse die Politik allerdings nicht aus der Verantwortung und ihrem ordnungspolitischen Auftrag, dort einzugreifen, wo der Markt nicht ausreichend oder gar nicht für ausreichend Umwelt- und Klimaschutz sorge. Instrumente seien Transparenz, Verbraucherschutz durch Gütesiegel, Preise, die die wahren Kosten für die Umwelt widerspiegelten und – wo nötig – auch Verbote.
Engagement hunderttausender junger Menschen schon heute Entscheidendes bewirkt
Wohl selten zuvor habe der Schutz von Umwelt, Klima und Artenvielfalt die gesamte Gesellschaft so sehr umgetrieben wie gegenwärtig, so das Staatsoberhaupt weiter. Das bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Engagement hunderttausender junger Menschen habe schon heute Entscheidendes bewirkt und der Klima- und Umweltpolitik „einen gewaltigen Schub versetzt“. Es habe die Deutschen daran erinnert, welcher Elan und Ehrgeiz in diesem Land stecken könne, welche gesellschaftlichen und technologischen Kräfte gerade beim Thema Umwelt und Klima aufgebaut worden seien und „welchen Beitrag Deutschland der Welt schuldet“. Es habe daran erinnert, zu welchen ambitionierten Zielen sich die Staatengemeinschaft völkerrechtlich verpflichtet habe. Zu Recht forderten die jungen Leute, dass jetzt der Mut und politische Wille zähle, die gesteckten Ziele auch wirklich zu erreichen. Steinmeier: „Daran muss sich Klimapolitik messen lassen.“ Die öffentliche Aufmerksamkeit dieser außergewöhnlichen sozialen Bewegung schaffe Gestaltungsspielräume, an die die politischen Parteien wohl selbst noch nicht geglaubt hätten, die es aber zu nutzen gelte.
Vertrauen in Handlungsfähigkeit der Demokratie nicht kleiner reden
Natürlich habe er die kritischen Stimmen zum Klimapaket auch vernommen, so das Staatsoberhaupt. Aber das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie dürfe nicht kleiner geredet werden je größer die Herausforderungen seien. Vor allem warne er davor, die Beteiligten an dieser Debatte gegeneinander auszuspielen: die Leidenschaft und Entschiedenheit der jungen Menschen auf der Straße gegen die vermeintliche Nüchternheit und Behäbigkeit der politischen Verfahren. Im demokratischen Prozess, der jetzt in eine entscheidende Aushandlungsphase trete, brauche es Leidenschaft und Entschiedenheit, Dialogbereitschaft und Vernunft – radikal verständigungsbereit und leidenschaftlich vernünftig.
„Kein selbsternannter starker Mann wird diese Stärke der Demokratie je aufbringen können“
Die, die jetzt Zweifel an der Demokratie säen wollten, frage er mit Nachdruck, welche andere Staatsform überhaupt eine solche Kraft der Erneuerung in sich trage? Steinmeier: „Kein Einzelkämpfer, kein Autokrat, kein selbsternannter starker Mann wird diese Stärke der Demokratie je aufbringen können!“ Kein Kabinett von Experten und Wissenschaftlern, auch kein Kabinett von Klimaforschern könne der Gesellschaft – bei allen unumstößlichen Erkenntnissen – die Zielkonflikte, die schmerzlichen Abwägungen und Aushandlungen abnehmen, die nun mal anstünden. Eine ökologische Transformation, die den Erkenntnissen der Klimawissenschaft gerecht werde, sei natürlich notwendig. Aber wie bei jedem tiefgreifenden Strukturwandel gebe es Menschen, die davon besonders stark betroffen seien. Menschen, die Sorge hätten, ihre eigenen Arbeitsplätze zu verlieren und in Regionen wohnten, in denen sie befürchten müssten, dass auch ihre Kinder keine Arbeit mehr fänden. Diese Sorgen dürften nicht einfach überheblich ignoriert werden. Sie dürften allerdings auch ausdrücklich kein Vorwand sein, die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz zu unterlassen. Umwelt- und Klimaschutz dürfe zu keiner Spaltung führen zwischen den Arbeitnehmern der Autoindustrie und den Blockierern von Straßen, zwischen Landwirten und Naturschützern, zwischen denen, die es sich leisten könnten, und denen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssten. Denn Klimaschutz sei eine ökologische und eine soziale Aufgabe und Klimapolitik umso wirksamer, „je mehr Menschen wir auf den Weg mitnehmen“.
Jury lobte Engagement der Preisträger
Als Mitglieder der Jury des Deutschen Umweltpreises, auf deren Vorschlag hin das Kuratorium der Stiftung die jeweiligen Preisträger eines Jahres auswählt, gingen Prof. Dr. Heidi Foth, Direktorin des Instituts für Umwelttoxikologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin UnternehmensGrün, auf die Leistungen der Preisträger 2019 ein. Foth würdigte die herausragenden Forschungsarbeiten der Preisträgerin Kögel-Knabner. Sie habe mit ihrer Arbeit, mit ihren neuen Forschungsmethoden, mit ganz klaren Daten, an denen man nicht zweifeln könne, dafür gesorgt, dass die Aufgabe Bodenschutz deutlicher und fassbarer geworden sei. Reuter würdigte vor allem Preisträger Schneiders konsequentes Ausrichten auf das Thema nachhaltiges Wirtschaften. Seine Recyclat-Initiative, das Schaffen umweltfreundlicherer Produkte für den Massenmarkt, die frühe Zertifizierung seines Unternehmens nach den Vorgaben der Europäischen Union, der ständig wachsende Anteil von Altkunststoffen für Produktverpackungen, der frühzeitige Beitritt zur Initiative „Entrepreneurs for Future“ – das alles seien Punkte, die die Jury überzeugt hätten.
Kögel-Knabner: eine Handvoll Boden hat mehr Organismen als Menschen auf Erde
Die Preisträger selbst machten in Filmen, die während des Festaktes eingespielt wurden, und im Gespräch mit Moderatorin Judith Rakers ihre Positionen noch einmal deutlich. Kögel-Knabner sagte, Böden müssten nicht nur Kohlenstoff speichern, um damit dem Klimawandel zu begegnen. Sie müssten gleichzeitig auch fruchtbar sein, weil eine immer noch wachsende Weltbevölkerung auch ernährt werden müsse. Das Verständnis der Rolle von Böden für den Klimaschutz sei in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Dabei trage eine Handvoll Boden mehr Organismen in sich als Menschen auf der Erde lebten. Klimabedingte Probleme wie das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien seien aber wegen des Freisetzens von Treibhausgasen kein regionales Problem, sondern ein globales.
Schneider: Plastik könnte einer der ökologischsten Werkstoffe unserer Zeit sein
Preisträger Schneider wies darauf hin, dass Unternehmen sich konsequent auf Nachhaltigkeit einlassen sollten und in der Verantwortung stünden, attraktive Angebote an Verbraucher zu machen, ohne sie zu sehr in einen Verzicht hineinzudrängen. Der sei für viele letztlich noch nicht zumutbar. Das sei aber auch ohne Abstriche bei der Ökologie möglich. Wichtig sei, dass schon in der Entwicklungsphase der Produkte darauf geachtet werde, dass sie gut recyclingfähig seien. Verschiedene Kunststoffarten dürften nicht so miteinander verbunden werden, dass sie nicht mehr zu trennen seien. Das Paradoxe sei nämlich, dass Plastik tatsächlich einer der ökologischsten Werkstoffe unserer Zeit sein könnte, „wenn wir lernen, damit richtig umzugehen“. Man könne es nämlich mit einem Minimum an Energie nahezu verlustfrei in den Kreislauf führen, sodass kein Müll mehr entstehe.
Headerbild: Gemeinsame Freude über den Deutschen Umweltpreis (v.l.): Moderatorin Judith Rakers, DBU-Generalsekretär Alexander Bonde, Preisträgerin Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Preisträger Reinhard Schneider, DBU-Kuratoriumsvorsitzende Rita Schwarzelühr-Sutter und Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller. © DBU/Peter Himsel