Süddeutsche Zeitung, Dienstag 4. April 2023

Interview: Michael Kläsgen

„Leute, ihr habt eine enorme Macht mit eurem Geldbeutel, nutzt sie“

Viele Firmen täuschen Verbraucher mit „perfiden Methoden“, findet Reinhard Schneider, Inhaber der Marke Frosch. Wie Kunden diese erkennen und warum Umweltschutz kein schickes Statussymbol sein darf

Ocean Plastic hat sehr wenig Sinn, wenn man weiß, dass etwa 97 Prozent des Plastiks in den Weltmeeren für den Menschen nicht erreichbar sind. Es schwimmt zu tief im Wasser, und es kostet viel Energie, Ocean Plastic zu sammeln. Zudem muss man es mit Neuplastik aus Erdöl mischen, um Produkte herstellen zu können. Die enthalten dann nur einen kleinen Anteil Ocean Plastic. Da wird leider oft geschummelt.

Er ist Betriebswirt, Inhaber der Putzmittel-Marke Frosch und hat 2019 den Deutschen Umweltpreis erhalten: Reinhard Schneider.

Gilt das auch für Plastikflaschen, die „bis zu 25 Prozent“ recyceltes Material enthalten sollen?

Wenn da „bis zu“ steht, kann der Wert weit darunter liegen. Es sollte „mindestens“ draufstehen. Verbraucher sollten auch darauf achten, ob die Marke vorher mit Greenwashing-Skandälchen aufgefallen ist.

Kann man sich wenigstens an Siegeln orientieren?

Leider ist es eine zunehmende Herausforderung, die relevanten von den irrelevanten zu unterscheiden.

Wie erkennt man denn die relevanten?

Auf Websites wie Siegel-Klarheit.de kann man schon erste Hinweise kriegen.

Erste Hinweise? Ist das alles nicht fürchterlich aufwendig?

Leider ja.

Ein Fall für den Gesetzgeber?

Ja, aber im Moment steuert Deutschland beim Plastik gegen eine Kreislaufwirtschaft an. Zwei Steuern setzen Anreize in genau die falsche Richtung: Die EU-Plastiksteuer sollte Einwegplastik verteuern. In vielen Ländern ist sie längst umgesetzt worden und hat umweltschädliche Erdöl-Plastikprodukte verteuert, außer in Deutschland.

Wieso?

In Deutschland hat der Lobbyismus gesiegt. Der BDI, Deutschlands mächtigster Lobbyverband, war dagegen. Jetzt wird die Steuer zwar gezahlt, hat aber keine positive Lenkungswirkung. Denn sie wird aus dem anonymen Steuerhaushalt beglichen und nicht nur von den Inverkehrbringern des umweltschädlichen Plastiks gezahlt. Damit signalisiert die Regierung der Industrie: Wir wollen gar nicht, dass Rezyklat wettbewerbsfähig und günstiger wird. Wir wollen, dass neue Erdölprodukte billig bleiben. Denn hier gibt es eine große Neuplastik-
Industrie.

Und die zweite Steuer?

Das ist die gute alte Mineralölsteuer. In Deutschland sind alle Weiterverarbeitungsarten von Rohöl mit dieser hohen Mineralölsteuer belastet, Benzin, Diesel, Heizöl – nur neues Plastik nicht. Das kommt einer versteckten Subventionierung gleich, obwohl Neuplastik umweltschädlich ist.

Hindern die verschiedenen Lobbys die Regierung also daran, die Politik ökologisch auszurichten?

Leider ja, Politiker bekommen den Großteil ihrer Informationen nicht von der unabhängigen Wissenschaft. Sondern, wenn schon von Wissenschaftlern, dann nur von denen, die im Schlepptau der Lobbyisten zwar als unabhängig vorgestellt werden, aber meist nicht unabhängig sind. Weil sie etwa auf der Payroll der entsprechenden Industrie stehen und deren Interessen tendenziös darstellen. Dann stellt die Politik die Rahmenbedingungen nicht mehr so ein, dass sie umweltfreundlich sind, sondern dass die alten Technologien mit geringen Abänderungen weiterarbeiten. Das ist für Firmen immer am attraktivsten.

Ein Beispiel?

Es gibt einen „Mittelständler“ in Ludwigshafen mit vier Buchstaben …

…BASF …

… der baut 2600 Arbeitsplätze in Europa und Deutschland aus Kostengründen ab, während er gleichzeitig zehn Milliarden Euro in einer Autokratie, in China, investieren will, um dort umweltschädliches Einwegplastik mit chinesischem Energiemix
herzustellen. Das ist so ziemlich der kohlelastigste aller Energiemixe in der Welt. Gleichzeitig möchte man aber noch irgendwie grün daherkommen und sagt, na ja, wenn wir Unmengen von Grünstrom in Deutschland hätten, dann könnten wir auch synthetische Kraftstoffe herstellen, damit der Verbrenner weiter läuft. Und, liebe
Regierung, wenn du uns neue Umweltauflagen machst, dann werden weitere Arbeitsplätze abgebaut.

Andererseits sind Unternehmen die Grundlage unseres Wohlstands. Wollen Sie uns denn zurück ins Mittelalter katapultieren?

Das ist das gängige Gegenargument. Nein, will ich natürlich nicht. Es geht um Kreislaufwirtschaft. Die ist in viel mehr Branchen möglich, als die meisten denken. Und sie ist der Königsweg. Wie weit sie funktionieren kann, entscheidet sich an der Frage, ob der eingesetzte Rohstoff in Menge und Qualität mit möglichst wenig Energie im geschlossenen Kreislauf gehalten werden kann. Wenn ja, gut. Es gibt aber auch Fälle, bei denen ganz am Anfang extrem viel Energie verbraucht wird und die Rückführung in den Kreislauf nicht möglich ist. Bei Langstreckenflügen zum Beispiel. Da hilft es nur, etwas weniger Fernreisen zu machen. Sonst müsste man genauso viel Energie wieder reinstecken, umausdemfreigesetztenCO2 wieder Flugbenzin zu machen.

Sie kritisieren die Konkurrenz und Lieferanten hart, verkaufen aber selbst Konsumgüter aus Plastik. Welchen Vorteil erhoffen Sie sich dadurch?

Ich erhoffe mir dadurch eine breiter angelegte Erkenntnis der Öffentlichkeit, dass Recyclingplastik das ideale Kreislaufmaterial unserer Zeit sein kann, wenn man nur konsequent richtig damit umgeht. Das bedeutet, dass Altplastik durch Weglassen der Einfärbung und nicht recycelbarer Verbundstoffe allein schon wegen des niedrigen Schmelzpunktes mit deutlich weniger Energie in eine neue Verpackung umgeformt werden kann als Glas, Blech oder Aluminium.

Wie bringt man gerade auch Großkonzerne dazu, wirklich nachhaltig zu wirtschaften?

Sie müssen daran gemessen werden, wie sie faktisch Ressourcen im Produktionsprozess schonen. Bisher reichen Lippenbekenntnisse aus. Die geltenden ESG-Kriterien, Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, bringen kaum etwas. Es muss unangemeldete Audits vor Ort in der Industrie geben, und zwar von erwiesenen Nachhaltigkeitsexperten der jeweiligen Branche. Und Innovationsprozesse müssten anderen zugänglich gemacht werden. Es darf nicht mehr statthaft sein, dass Unternehmen andere über Sperrpatente davon abhalten, sinnvolle Technologien auch zu nutzen.

Es gibt doch Klauseln, dass ein Patent erlischt, wenn man es nicht selber nutzt.

Auch dagegen gibt es einen Trick: Wenn man das Patent nur minimal nutzt, um so den Patentschutz aufrechtzuerhalten, die Technologie aber bewusst dahinkümmern lässt. So dienen Patente nur dazu, andere auszuschließen, und das 20 Jahre lang.

Würden Konzerne über so lange Zeiträume täuschen wollen?

Heute kann man in unserer schnelllebigen Zeit viel schneller mit einem Know-how-Vorsprung Gewinne machen als früher. Der Patentschutz muss deshalb verkürzt werden, erst recht da, wo es unter den Nägeln brennt, in Umwelttechnologien, der Volksgesundheit und allem, was dringendst im öffentlichen Interesse notwendig ist.

Kann man als Verbraucher denn gar nichts machen?

Doch, mein Credo ist: Leute, ihr habt eine enorme Macht mit eurem Geldbeutel, nutzt sie. Die Nachfrage ist die stärkste Kraft, der sich die Industrie immer unterwerfen muss. Die Industrie kann nicht an der Nachfrage vorbeiproduzieren.

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